Doppelte Lotte

Die künstlerische Koproduktion ist ein derzeit gewünschter Status. Für uns Künstler stellt sie oft ein Paradoxon dar, widerspricht sie doch allem, was wir in Bezug auf Urheberschaft, Authentizität und Originalität, Werkimmanenz und Selfmanagement lernen mussten.
Orientiert an Hype und Personenkult in der Kunstszene, ist ein Phänomen der Ablösung ins Zentrum getreten, jeder Künstler schafft für den Nährboden des anderen, um alsbald ausgetauscht und ersetzt zu werden. Und dies lange schon nicht mehr epochal, eher sekundenschnell, gleichzeitig, international und parallel. Tatsächliche Kooperation von Künstlern wird durch dieses Phänomen irrealisiert.
Hier wird die doppelte Lotte erneut geboren: weiblich, Künstler, Konkurrent, Freundin, Schwester, deutsch.
Wenn wir (Joanna Schulte und Heike Schötker) zusammen EIN glaubhaftes Kunstwerk sind, können wir kein Januskopf sein, kein Jekill and Hyde. Keiner von uns kann allein böse sein, keiner gut; wir sind eins und uneins, gleich und für den anderen vernichtend.
In der deutschen Ikonografie stand uns nichts näher als das doppelte Lottchen.
Wir ließen die Mädchen hinter uns.
Wenn ihr uns glaubt, müssen wir euch warnen.
Wir persiflieren den Hype, aber VORSICHT, wir sind es auch!
Wir, Luise und Lotte, lieben uns, aber wir fürchten uns auch. Im Verständnis der Ablösung endet der Genuss.

Die ersten Fotos liegen vier Jahre zurück.
Von Anfang an war uns klar, dass das zentrale Produkt ein Film werden sollte. Wir trainierten in Portraits den entrückten Blick der Lotten und einfache Mordszenen. Wir erprobten Requisiten und Tatwaffen.
Dann legten wir Handlungsspielräume fest und fotografierten uns an vermeintlichen Tatorten wie auf einzelnen Bühnen.
Die Fotos stellen kein Filmstill dar, sie sind als ikonografische Skulpturen im Raum angelegt, als ein Pendant zum Film, das in Entbehrung der Handlung durch Sinnbilderdeutung vermittelt. Die harmlosen Posen der Zwillinge wirken in der Übertreibung grotesk und damit bedrohlich und Unbehagen verursachend. Alterung spielt eine zentrale Rolle für die Lesbarkeit des Themas.

 

Die Protagonisten entwachsen ihrer Ikone durch Alterung, und das welke Idyll des deutschtümeligen Lokalkolorits konterkariert das kulturelle Ideal.
Tatsächlich sind die Schauplätze auf den zweiten Blick verlassen und vernachlässigt, ihre beste Zeit ist vergangen, und sie wirken hermetisch und kitschig.
Abnutzung verursacht Ablösung und ist hier die Vorraussetzung für die „Verkehrung“ der Rollen. Wenn ehedem Lotte und Luise meinten, nicht mehr ohne einander leben zu können, können sie es jetzt nicht mehr miteinander.
Sie sind autistisch, wollen über sich hinaus nicht wirken, sie verkörpern lediglich das Psychogramm eines Kunstgeschehens. Da sie perfide sind, haben sie allerdings Spaß daran.
Sie blicken direkt auf ihren Betrachter und wollen ihn in ihr Spiel von Gleichheit und Gleichzeitigkeit involvieren. Der direkte, inständige und vorwurfsvolle Blick ist eine Aufforderung, sich zu beteiligen und die Situation der Zwillinge zu reflektieren.

Der Film war eine enorme Herausforderung in Bezug auf alles, was wir von uns preisgeben wollten und durften. Die doppelte Lotte darf nicht als Performance gelesen werden, sie hat keine Chance, ihre Fiktion zu verlassen. Echtheit des Künstlerpaares, wie etwa bei Eva und Adele, hätte dazu geführt, dass wir als Personen gesehen worden wären, nicht als Systemfigur.
Der Stil der Texte Kästners, in ihrer kulturell eindeutigen Prägung, eignete sich hervorragend für unsere Zwecke. Die aus dem „Doppelten Lottchen“ zitierten Sätze des Films spiegeln in ihrer etwas altmodisch anmutenden Struktur signifikant unser Konzept. Als „Äußerungen“ in den neuen Zusammenhang gestellt, wirken sie kassandrisch und orakelhaft, weshalb wir beschlossen, sie für unseren kulturellen Krimi einzusetzen.
In den Fotos hatten wir die Tatorte bereits festgelegt, die Entwicklung der Handlungsstränge bis zum jeweiligen Corpus delicti war nun ein Mädchenspiel.
Die musikalischen Trailer entstanden an einem intensiven gemeinsamen Wochenende in den Künstlerhäusern Worpswede. Aus der Verfilmung des Kästner-Romans von 1950 entlehnten wir Klänge der Kinderoper des Komponisten und Dirigenten Palfy, des Vaters der Zwillinge, und generierten sie frei zu den Variationen, die unseren Film begleiten sollten.

 

Einen wichtigen Einfluss hatte unser Kameramann, den ein geringes Budget erwartete und der mit einem rigiden Drehbuch konfrontiert wurde. Die Morde sollten stringent, blutleer und zeitlich gerafft sein, das persönliche Motiv musste fehlen. Parteinahme und Empathie für die Darstellerinnen mussten ausgeschlossen werden. Die ästhetisch opulenten Drehorte sollten als Ambiente wirken und durften wie die Personen nur symbolisieren und nicht zu viel erzählen.

Die doppelte Lotte ist durch Prinzipien motiviert, sie mordet aus Konkurrenz und aus der Unmöglichkeit der Gleichheit heraus. Die einzelne Lotte wird in ihrem finalen Akt natürlich niemals erfolgreich sein. Das verdürbe uns einerseits den Spaß an den einzelnen Sequenzen und stünde auch unserer tiefen Liebe zur Kunst entgegen, deren einzelnen Phänotypus wir doch in aller Genüsslichkeit stellvertretend meucheln wollen.
Die Künstlerinnen können nicht innehalten, und jenseits der Öffentlichkeit spielen sie verrückt in ihrer schönen maroden Welt.

Auch unabhängig von der künstlerischen Ebene zeigt die doppelte Lotte, dass jedes System, ob sozial, kulturell oder politisch, das sich abriegelt und hermetisiert, autoaggressiv an sich selbst erkrankt. Das Projekt will hier allerdings keine Kulturkritik sein, es versucht sich lediglich an der Mimikry der gegen sich selbst gewandten Systematik.

In diesem Sinne bitten wir von Kondolenzen abzusehen.

LOTTE und LUISE

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